Manchmal dauert es nur etwas länger

Ich weiß noch, wie ich mit 15 Bücher über Indien, Südafrika und Chile verschlang. Einmal, nur ein einziges Mal im Leben wollte ich in ein Land außerhalb Europas reisen. Davon träumte ich jahrelang. Und jahrelang ging dieser Wunsch nicht in Erfüllung. Mit 15, 16 und 17 machte ich meine Mama teilweise wahnsinnig mit dieser Idee, die sie – wo ich noch nicht mal volljährig war – nicht gerade in Begeisterung versetzte. Dann machte ich Abi und fand mich gleich danach statt in der weiten Welt im Hörsaal wieder. Es ergab sich nicht, es passte nicht, es wollte einfach nicht klappen. Aufgehört, davon zu träumen, habe ich trotzdem nicht. Irgendwann war ich dann 22, und hatte einen Freund, dessen Onkel nach Peru ausgewandert war. Den könnten wir doch besuchen, schlug ich vor. Wenig später saß ich im Tropeninstitut wegen einer Gelbfieber-Impfung und packte Malaria-Prophylaxe in meinen Backpacker-Rucksack. Mit 22 wurde er aus heiterem Himmel wahr, der Traum, einen völlig anderen Winkel dieser Erde kennenzulernen. Ich aß Ceviche in Trujillo, schwamm in Zorritos im Pazifik, erkundete Machu Picchu und staunte über den Sternenhimmel im Colca Canyon. Sieben Jahre, nachdem ich angefangen hatte, von der großen weiten Welt zu träumen.

Das ganz große Fernweh gestillt, wollte ich das Reisen anschließend dennoch nicht an den Nagel hängen. Auch im Umkreis von zwei oder drei Flugstunden gibt es so viel zu entdecken. Da wollte ich gerne hin, nach Portugal und Spanien, Sardinien, Paris oder Irland. Und zwar am liebsten mit jemandem, der meine Art zu reisen teilte. Ich fuhr weg, mit dem jeweils aktuellen Mann oder einer Freundin… und fand es immer anstrengend. Der aktuelle Mann war in ganzen fünf Tagen in Paris nicht bereit, sich auch nur ein einziges Mal mit mir ins Café zu setzen: Auf keinen Fall würde er die überteuerten Preise für einen Cappuccino in Frankreichs Hauptstadt bezahlen. Selbst, dass ich ihn einladen würde, lehnte er ab. Die Freundin packte in eine Woche Prag ein Programm, das meine To-Do-Liste zuhause um ein Vielfaches toppte, und jede entspannte Urlaubsstimmung in Stress verwandelte. So genoss ich es zwar, etwas von der Welt zu sehen, wünschte mir aber nichts sehnlicher als einen Menschen, mit dem ich all das auf meine Art erleben konnte. Auch hier vergingen ein paar Jahre, bis ich mit 29 das erste Mal mit meiner Mama wegflog. (Ja richtig, der ich mit 16 noch mit meinem Fernweh auf den Keks gegangen war.) Wir brauchten kaum ein paar Tage, um festzustellen: Wir haben beide eine extrem ähnliche Vorstellung davon, wie eine tolle Reise aussehen soll. Wir wollen entspannt das tun, wozu wir morgens beim Aufwachen Lust haben, mal völlig im Hier und Jetzt leben, und beim Kaffee nicht überlegen, ob er zuhause vielleicht einen Euro günstiger wäre. Seitdem habe ich sie unverhofft gefunden: meine Lieblings-Reise-Menschin, mit der ich in Portugal, Spanien oder Irland immer ich selbst sein kann.

Genauso, wie ich mir mit 15 und 16 nicht vorstellen konnte, dass es mal einen Typen für mich gäbe, in den ich mich verliebe; bis dann mit 17 der Blitz einschlug. Genauso, wie ich lange dachte, es existiert nichts, das mir ein bisschen mehr Gelassenheit verschafft; bis ich bei einem Frauen-Wochenende, zu dem ich wegen des Tanz-Workshops ging, nebenbei noch Yin Yoga kennenlernte.

Daran denke ich, wenn ich heute auf die Träume schaue, die sich noch nicht erfüllt haben. Wenn die Zeit, die verstreicht, mich zweifeln lässt, ob es jemals so weit sein wird, erinnere ich mich daran, dass ich lange darauf gewartet habe, nach Peru zu fliegen. Oder mit einem besonderen Menschen die Welt entdecken zu können. Mich richtig zu verlieben. Meinen Zugang zu mehr Gelassenheit zu finden.

Wie all das letztendlich doch noch funktioniert hat, weiß ich gar nicht. Ich weiß nur, dass ich diese Träume nie aus meinem Herzen gestrichen habe. Und irgendwann ist es dann einfach so passiert.

Das ist der Grund, wieso ich glaube, dass die Dinge, die wir uns von Herzen wünschen – von denen nicht nur unser Kopf denkt, wir bräuchten sie – früher oder später wahr werden. Es dauert vielleicht länger, als wir gehofft hätten. Doch wenn wir mit dem Herzen bei unseren Träumen bleiben, kommt der Tag, an dem wir sie erleben.

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4 Gedanken zu “Manchmal dauert es nur etwas länger

  1. Mama

    Ja, manchmal dauern wertvolle Dinge tatsächlich etwas länger. Ich wurde schließlich über 50, bis ich das erste Mal in einem Flugzeug saß (und meinen Vater anschließend so mit meiner Begeisterung ansteckte, dass er sich mit 80(!) ebenfalls aufmachte, einmal in seinem Leben in die Ferne zu fliegen)….Und ich kann dich nur bestätigen und mich dazu noch über jede unserer Reisen freuen!

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