Mein Umgang mit mir

Ich stehe an der Supermarktkasse. Die Kundin hinter mir drängelt als würde sie bereits seit 40 Minuten auf ihrer Hochzeit erwartet, bei der sie aber keinesfalls ohne die Kosmetiktücher, die Kekse und das Haarshampoo auftauchen darf, die sie gerade so dringend bezahlen möchte. Als ich an der Reihe bin, schenke ich der Kassiererin ein strahlendes Lächeln, woraufhin sie das Gesicht verzieht als hätte ich sie gerade übel beleidigt.

Weil ich mit Begeisterung und Herzblut schreibe und mir auch immer vierhundertneunundzwanzig Ideen für innovative Texte durch mein Köpfchen schwirren, schreibe ich eine E-Mail an den Redakteur einer Zeitschrift. Mit etwas Esprit und einer Portion Kreativität frage ich ihn höflich nach der Möglichkeit, einen Artikel für sein Magazin zu schreiben und schicke drei passende Themenvorschläge mit. Die Mühe, mir auch nur zu antworten, macht er sich nicht. Ich rufe bei der Zeitschrift an, um mich freundlich zu erkundigen, ob ich denn nicht wenigstens eine Rückmeldung bekommen könne. Woraufhin eine Dame mir im Kasernenton auseinandersetzt, dass es natürlich nicht besonders höflich sei, gar nicht zurückzuschreiben, aber dass das bereits meine Antwort wäre: Kein Interesse. Mit weiteren Nachfragen solle ich bitte niemanden belästigen.

Einer meiner Freunde erwartet, dass die Vorschläge, wann und wo wir uns treffen, stets von mir kommen müssen. Das führt zu Ermüdungserscheinungen bei mir. Ich schicke ihm eine ehrliche Nachricht, dass ich Freundschaft als etwas Gegenseitiges betrachte und es anstrengend finde, die alleinige Verantwortung zu übernehmen. Das passt für mich nicht und bewirkt leider, dass ich die Lust verliere, ihn weiterhin zu treffen. Er schreibt zurück, dass das kein ausreichender Grund sei und unterstellt mir, ich müsse andere Motive haben, ihn nicht mehr sehen zu wollen, die ich ihm nicht sage.

Ich kann nicht entscheiden, wie andere Menschen mit mir umgehen. Manchmal bleibt es mir nicht erspart, dass die Umgangsart, die ein anderer pflegt, mich irritiert bis ärgert oder kränkt.

Was ich aber glücklicherweise stets entscheiden kann, ist, wie ich selbst mit mir umgehe. Ich selbst kann zu jeder Zeit einen liebevollen, positiven, rücksichtsvollen und freundlichen Umgang mit mir pflegen.

Als ich endlich aus dem Supermarkt draußen bin, klopfe ich mir selbst innerlich erleichtert auf die Schulter: „Puh, Einkauf erledigt, selbst unter irritierendsten Bedingungen!“ Beide Damen (die Kundin hinter mir sowie die Kassiererin) bleiben mir ab sofort erspart.

Ich lege nach dem Telefonat mit der Kommandozentrale der Zeitschrift auf und atme tief durch. Niemand weiß, was mit den Leuten los ist, die dort arbeiten. Und über meine Fähigkeit, gute Texte zu schreiben, sagt ein solches Verhalten nichts aus.

Ich lese die Nachricht meines Freundes und komme zu dem Schluss, dass jeder das Recht hat, festzulegen, was für ihn geht und was nicht. Auch ich. Und wenn ich in einer Freundschaft nicht diejenige sein will, die stets das nächste Treffen organisiert, ist das in Ordnung.

So gehe ich durch meine Tage und lasse mir die Umgangsart, die ich für sinnvoll halte, nicht nehmen.

Als ich beim nächsten Einkauf im Supermarkt den Kassierer anlächle, lächelt er strahlend zurück und seine Augen leuchten.

Meine Themenvorschläge schicke ich an eine Redakteurin bei einer anderen Zeitschrift. Von ihr bekomme ich eine sehr freundliche E-Mail, in der sie mir schreibt, dass sie meine Vorschläge allesamt spannend findet. Sie wird im Auge behalten, wann einer davon thematisch in die nächste Ausgabe passt und sich bei mir melden, wenn es soweit ist.

Donnerstags ruft mich eine Freundin an, die ich noch gar nicht so lange kenne, und fragt mich, ob ich Lust habe, am Samstagabend gegen sieben zum Pizza essen bei ihr vorbeizukommen.

Wir sollten immer gut mit uns selbst umgehen. Und unsere Aufmerksamkeit denen schenken, die dasselbe tun.

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