Nehmt euch Zeit

Die guten Dinge brauchen Zeit.

Das gilt für die Glanzstücke, die wir in unserem Leben vielleicht gerne entstehen lassen würden: die Trainingseinheiten, mit denen wir uns auf einen Marathon vorbereiten. Den Roman, den wir darüber schreiben möchten, wie schön das Leben mit Liebe, Zugehörigkeit und Begeisterung sein kann. Das Bild, das wir von diesem unvergesslichen Sonnenuntergang malen wollen, den wir in Italien gesehen haben.

Und das gilt auch für die Menschen, die in unserem Leben von Bedeutung sind.

Am Anfang brauchen wir Zeit, um uns tatsächlich kennenzulernen. Kennt ihr das? Die Männer – oder Frauen –, die am enthusiastischsten in unser Leben schneien, sind oft die, die auch am schnellsten wieder fort sind. Der Mann, der bereits nach ein paar Wochen überlegte, ob ich nicht mit ihm, seinen Eltern, Onkeln, Tanten und Großeltern Weihnachten feiern könnte, war derjenige, mit dem ich gar nicht bis Weihnachten zusammen war, weil er bei der ersten Meinungsverschiedenheit keine Lust mehr hatte. Meine Freundin, die so dringend heiraten will, findet genauso schnell einen Grund, warum ihr Auserwählter doch nicht zu ihr passt.

Mehrere Jahre war ich dann mit dem Mann zusammen, mit dem ich schon viel Zeit verbracht hatte, bevor wir zusammen Weihnachten feierten oder gemeinsam in den Urlaub fuhren.

Genauso wie meine langjährigen Freundschaften schrittweise anfingen: Wir trafen uns einmal im Monat, dann zweimal. Einige Zeit verging, bevor wir schließlich jedes Wochenende überlegten, etwas zusammen zu unternehmen. Oder bevor wir uns erzählten, wovon wir träumen und was unser Leben wirklich ausmacht.

Kennen wir unsere Freunde oder unseren Mann / unsere Frau gut, brauchen wir Zeit, um das, was wir miteinander teilen, zu pflegen und weiterzuentwickeln.

Ich mag meine beste Freundin seit Jahren kennen. Doch wenn ich plötzlich zu beschäftigt bin, um sie zu treffen, wird sich das auswirken. Eine Freundschaft wird nicht dadurch zum Selbstläufer, das sie schon mehrere Jahre besteht. Wenn ich mich nicht mehr um sie kümmere, geht sie in die Brüche. Denn was sie zusammenhält ist, gemeinsam zu lachen, sich dafür zu interessieren, wie es dem anderen geht, sich zu erzählen, was wichtig ist. Und dafür brauchen wir Zeit.

Genauso wie für unsere Beziehung, und zwar ganz egal, wie lange es sie schon gibt. Wir können 30 Jahre verheiratet sein. Das schützt uns nicht davor, dass eines Tages die Scheidungspapiere ins Haus flattern, wenn wir dem Menschen, der einer der wichtigsten sein sollte, keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt haben. Das, was eine Beziehung zusammenhält ist, dass wir uns auch nach Jahrzehnten noch in den Arm nehmen, küssen, wissen wollen, wie der Tag des anderen gelaufen ist, kitzeln, flachsen, uns überraschen, zusammen lachen, zusammen weinen, zusammen das Leben genießen.

Am längsten bleiben uns die Dinge erhalten, für die wir uns kontinuierlich Zeit nehmen.

Und am längsten bleiben die Menschen in unserem Leben, für die wir nie aufgehört haben, uns Zeit zu nehmen.

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